Neue Erstattungsmodelle gefordert

Berlin, 30.08.2020 – Rund 450 Experten haben sich bei der digitalen 4th AMR Conference über den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen ausgetauscht. Sie fordern ein stärkeres Engagement von Europa.

Vom 24. bis 28 August haben rund 450 internationale Experten auf der digitalen 4th AMR Conference eine ganze Palette an Themen für die globale AMR (Antimicrobial Resistance) Community diskutiert. Ob forschender Mittelständler in Biotech oder Diagnostik, Big Pharma, Diagnostik-Konzern oder Kliniker, Human- oder Veterinärmediziner, ob Investor oder Wissenschaftler – mit High-Level Panels und Expertensession brachte die Konferenz viele internationale Akteure im Bereich Antibiotikaresistenzen zum Austausch über aktuellste Trends und Entwicklungen zusammen. BIOCOM organisierte die Veranstaltung in diesem Jahr erstmals digital.

Ein hochrangiges Panel aus Gesundheitsexperten, Biotech- und Diagnostik-Firmen sowie öffentliche Einrichtungen hat am ersten Tag den Einfluss von COVID-19 auf das AMR-Ökosystem diskutiert. Für die Infektionsforschungs-Experten ist klar: Während COVID-19 das Gesundheitssystem auf eine akute Belastungsprobe stellt, bei der ad-hoc Lösungen gefunden werden müssen, handelt es sich bei Antibiotikaresistenzen mit rund 750.000 Toten jährlich um eine schleichende pandemische Krise, die längst da ist – aber nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommt. „Wir müssen jetzt die Vorbereitungen treffen, damit uns die schleichende Krise nicht mit noch größerer Wucht trifft“, unterstrich Manica Balasegaram, Direktor der von mehreren Regierungen unterstützten globalen Organisation GARDP in der Opening Session am 24. August. Rafael Cantón, Leiter der klinischen Mikrobiologie am Universitätsklinikum Ramón y Cajal in Madrid betonte, dass bakterielle Infektionen als Zweitkomplikationen bei schweren COVID-19-Verläufen immer häufiger auftreten und im klinischen Kontext schon jetzt beide Pandemien eng miteinander verbunden seien. Dieses Bild konnte auch Stefanie Deinhardt-Emmer, Diagnostik-Expertin vom Institut für medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Jena bestätigen: „Eine schnelle und valide Diagnostik wird im kommenden Winter eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von COVID-19 und begleitenden bakteriellen Infektionen spielen.“

Im Fokus der Diskussion: Wie können Marktbedingungen für Antibiotika verbessert werden?

Eine wichtige Rolle spielten auf der Konferenz den Themen politische Rahmenbedingungen und bessere Marktbedingungen. Schon lange sind sich Experten darüber einig, dass die bestehende Situation für die in dem Feld aktiven Unternehmen extrem herausfordernd ist. Vor allem die bisher an Volumen gekoppelten Erstattungsverfahren sowie die durch Generika aktuell vorherrschenden geringen Preise machen den Markt so unattraktiv, dass über die vergangenen Jahrzehnte immer mehr große Pharma-Unternehmen den Rückzug aus der Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika vollzogen haben und dadurch weniger neue Antibiotika auf den Markt gekommen sind. Schon seit Jahren gibt es nun in der AMR Community eine Debatte darüber, mit welchen sogenannten PULL Incentives Regierungen die Nachfrage ankurbeln können. Auf der Konferenz befassten sich mehrere Sessions genau mit diesem Thema. Diskutiert wurde unter anderem ein Pilotprojekt in Großbritannien, das die Erstattung neuer Antibiotika auf Basis eines Netflix-artigen Modells ermöglichen soll.

BEAM Alliance und globale Partner veröffentlichen Post-Konferenz-Aufruf an die europäische Politik

Am Ende der Konferenz haben zentrale Akteure ihre Position dazu in einem einem Post-Konferenz-Papier zusammengefasst. Darin wenden sich die forschenden kleinen und mittleren Firmen aus der europäischen BEAM Alliance zusammen mit international agierenden Pharma-Firmen und Investoren gemeinsam an Europa: Sie fordern die Politiker der EU-Kommission, das EU-Parlament sowie die Regierungen der Mitgliedsstaaten auf, schnellstmöglich neue Erstattungsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. (Hier geht es zum Papier)

AMR Action Fund und „Investor Action on AMR“-Initiative 

Dass es inzwischen auch in der AMR Community selbst immer mehr Initiativen gibt, insbesondere den Herausforderungen im Bereich Finanzierung zu begegnen, wurde am Donnerstag, 27. August, deutlich. In einer Session stellte der erst im Juli von mehr als 20 globalen Pharmafirmen gegründete AMR Action Fund weitere Details seiner künftigen Aktivitäten vor. Wie Silas Holland vom Pharmakonzern Pfizer berichtete, will man bis Ende 2020 operativ sein und die 5-Jahres-Investitiontsperiode im ersten Quartal 2021 starten. Um langfristig noch mehr Investoren für das Thema Antibiotikaresistenzen zu sensibilisieren, hat die britische Regierung auf der Konferenz die Initiative „Investor Action on AMR“ in einer eigenen Session vorgestellt. Mehrere Vertreter unterschiedlicher Investoren – etwa der FAIRR Initiative, von Rathbone Investment Management und BMO Global Asset Management – erklärten ihre Sicht auf den Investmentcase AMR. (Hinweis: Die Session is frei verfügbar. Eine Aufnahme kann hier auf Youtube angesehen werden)

Biotech-Unternehmen AiCuris startet eigenes Inkubator-Programm

Aber auch Biotech-Firmen nehmen die Initiative selbst in die Hand, wie das Beispiel AiCuris aus Wuppertal zeigt. Die Infektionsspezialisten stellten auf der Konferenz ihr neues AiCubator-Programm vor, mit dem sie frühe Ansätze bei der Entwicklung neuer Antibiotika zielgerichtet unterstützen wollen. Dies ist Teil des größeren “PREP – Pandemic and Resistance Emergency Preparedness”-Programms, mit dem das Biotech-Unternehmen seine Aktivitäten in der Infektionsforschung bündelt, um Pandemie-Lösungen zu entwickeln. „Wir wollen die Innovationen in dem Bereich so schnell wie möglich vorantreiben und wollen gemeinsam mit externem Input unsere Ressourcen entsprechend bündeln“, sagte CEO Holger Zimmermann auf der Konferenz.